MMA-Kämpfer Andreas Kraniotakes: „Der Sport gibt mir so unglaublich viel“

Stimmungsvolles Motivationsvideo: Andreas Kraniotakes und „seine“ Sportart MMA.

Schlagen, treten, werfen, klammern, würgen – willkommen bei den MMA (Mixed Martial Arts, vermischt die Techniken aus Boxen, Kickboxen, Judo, Jiu-Jitsu, Taekwondo und Ringen miteinander). Die  härteste und zugleich auch umstrittenste Sportart der Welt kämpft seit vielen Jahren auch in Deutschland um Akzeptanz. MMA-Schwergewichtler und -Pionier Andreas „Big Daddy“ Kraniotakes über die Kritiker, die Faszination des Sports, dessen pädagogischen Wert und sein Kinderbuch „Der schwarze Ritter“. 

Andreas Kraniotakes, Kampfname „Big Daddy“
Andreas Kraniotakes, Kampfname „Big Daddy“

Andreas, deinen ersten MMA-Profikampf hast du im Juli 2005 bestritten. Damals war die Szene in Deutschland noch recht überschaubar. Seitdem geht es mit der Popularität des Sports aber stetig bergauf. Inwieweit bist du vielleicht ein bisschen stolz, Pionierarbeit geleistet zu haben?

Als ich meinen ersten Kampf bestritten habe, hatte ich keine Ahnung von dem Sport. Damals sagten die meisten noch „Free Fight“, und ich kannte niemanden, der so etwas vor mir schon einmal gemacht hatte. Mittlerweile hat sich der Begriff MMA durchgesetzt, weil Free Fight zu sehr den Eindruck vermittelt, wir hätten keine Regeln. Das erste Mal gekämpft habe ich, um etwas über mich als Mensch herauszufinden. Es war ein einschneidendes Erlebnis, an dem ich charakterlich sehr gewachsen bin. Der Sport gab mir so viel, und dennoch war er so verpönt. Deshalb hatte ich das Gefühl, etwas zurückgeben zu müssen. Somit war es von Anfang an mein erklärtes Ziel, den Sport in der Öffentlichkeit in ein besseres Licht zu rücken und denjenigen, die nach mir kamen, das Leben als Profi zu erleichtern. Ich glaube, dass ich mit gutem Recht behaupten kann, dass mir dies bislang bereits gelungen ist – und ich bin noch lange nicht am Ende. Das Wort „Stolz“ verwende ich nur sehr ungern, aber froh über das, was wir Athleten, Veranstalter, Trainer, Fans usw. seitdem erreicht haben, bin ich allemal.

Bisher hast du 29 Kämpfe absolviert (18 Siege, 10 Niederlagen, 1 Unentschieden). Dein letzter Auftritt stammt aus dem April dieses Jahres. Wann wird man dich wieder im Käfig zu sehen bekommen?

Dieses Jahr werde ich mindestens noch einmal kämpfen. Das nächste Mal wird es um den Titel der FFC gehen. Die in Kroatien beheimatete Veranstaltungsreihe macht Shows in ganz Europa, und ich freue mich sehr, dort gegen einen anderen Veteranen des Sports kämpfen zu können. Der Kampf wird am 27.11. in Kroatien stattfinden, der Gegner heißt Dion Staring [Update: Andreas hat den Kampf leider nach Punkten verloren].

Im Dezember wirst du 34. Beim Wein heißt es ja so schön: Je älter, desto besser. Trifft das auch auf dich als MMA-Kämpfer zu?

Der MMA-Sport ist sehr komplex. Es gibt sehr viele verschiedene Techniken, und die Erfahrung spielt somit eine entscheidende Rolle. Insofern fühle ich mich eher erfahren als alt. Insbesondere bei den Schwergewichten weiß man ja auch z.B. aus dem Boxen, dass sie erst gegen Mitte 30 ihr volles Potential entfalten. Wenn man sich das alles so schönredet, dann kann ich vielleicht noch ganz positiv in die nähere Zukunft blicken.

Andreas Kraniotakes beim Kampf

Wie sehr hat dir dieser Vollkontaktsport über die Jahre körperlich zugesetzt?

Wo gehobelt wird, fallen ja bekanntlich Späne. Auch mein Körper musste den Tribut entrichten, den der Lebensstil eines Leistungssportlers mit sich bringt. Wenn ich mir aber andere Sportler ansehe aus Sportarten, die auf den ersten Blick harmloser wirken, dann kann ich mich nicht wirklich beschweren. Ich bin zudem fest davon überzeugt, dass es nicht das Ziel unseres Lebens ist, unseren Körper wohlbehalten und ohne einen Kratzer am Ende in einer Holzkiste zu platzieren. Es ist das Gefährt, das uns ermöglicht, diese Welt zu erleben. Und manchmal ist die beste Art, eine Erfahrung zu machen, ein riskantes Fahrmanöver, bei dem man auch mal im Kiesbett landet.

„Mit meinem Sport habe ich mich bislang einmal unwohl gefühlt“

Die Sichtweise der Leute auf MMA schwankt nach wie vor so zwischen Faszination auf der einen und Abscheu auf der anderen Seite – oder einer Mischung aus beidem. Hand aufs Herz: Wie oft hast du dich als diplomierter Sozialpädagoge, Kinderbuchautor (dazu später mehr) und reflektierter Mensch unwohl mit deinem extremen Sport gefühlt?

Mir ist eher unwohl bei der Art, wie manche Menschen Dingen gegenüber stehen, die für sie neu sind und die sie nicht verstehen. Es liegt in der menschlichen Natur, skeptisch zu sein bei Neuem, aber etwas aufgrund des ersten Eindrucks zu verurteilen, zeugt für mich nicht gerade von selbstbestimmter Aufgeklärtheit. Mit meinem Sport habe ich mich bislang erst einmal unwohl gefühlt, und das war nach einem klaren Fehlurteil gegen mich. Es ist schwer zu akzeptieren, wenn man sein ganzes Leben auf ein Ziel hin ausrichtet, die entsprechende Leistung abliefert und das verdiente Ergebnis dann vorenthalten bekommt. Aber von solchen Rückschlägen darf man sich nicht entmutigen lassen. Als Sportler lernt man nach solchen Dingen, sich wieder aufzuraffen. Denn der einzige Grund, aus dem wir fallen, ist, damit wir wieder aufstehen und stärker weiter machen können.

Deine Reflektion geht aber so weit, dass du auf deiner Homepage einräumst, du könntest die Vorbehalte gegenüber MMA (ein am Boden liegender Kämpfer darf mit Schlägen attackiert werden, der martialisch anmutende Käfig) durchaus nachvollziehen …

Ich kann nachvollziehen, dass jemand, der nichts mit dem Sport zu tun hat, bei den Zusammenschnitten aus dem Netz die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und sich denkt, bei uns handle es sich um ein paar Verrückte, die in einem Käfig eingesperrt wurden. Schließlich haben wir über Generationen beigebracht bekommen, dass ein am Boden liegender Mensch wehrlos ist. Wer sich jedoch die Mühe macht, mal einen Kampf von Anfang bis zum Ende anzusehen oder gar eine ganze Veranstaltung, der merkt zunächst, dass wir nicht nur wehrhaft sind, wenn wir auf dem Rücken liegen, sondern, dass es sich bei dem „Käfig“ um ein Instrument handelt, das die Athleten schützt, und wir größtenteils faire Sportsmänner und -frauen sind.

Was hat dir der Sport gegeben? Was fasziniert dich daran?

Er gibt mir so unglaublich viel, dass ich ein Buch darüber schreiben könnte. Vielleicht mache ich das auch irgendwann einmal. Er ermöglicht es mir, jeden Tag an meine Grenzen zu gehen, an mir zu arbeiten und etwas über mich und meine Umwelt zu lernen. Jeder, der bereits einmal gekämpft hat, weiß, dass nichts einem mehr das Gefühl geben kann, lebendig zu sein. Die harte Vorbereitung, die Anspannung vor dem Kampf, das gemeinsame Arbeiten im Team hin auf ein großes Ziel und dann die Stunde der Wahrheit. So intensiv wie in diesen Wochen kann man sonst kaum leben, wenn man nicht gerade in den Krieg zieht oder auf dem Mars eine Kolonie gründet.

 

Warum Andreas Kraniotakes nie gegen einen echten Freund kämpfen würde

MMA-Kämpfer Andreas KraniotakesStandest du eigentlich schon mal einem Gegner im Oktagon/Ring gegenüber, mit dem du freundschaftlich verbunden warst (und hoffentlich noch immer bist)?

Es gab auf jeden Fall schon Gegner, die mir sympathisch waren, und wo es auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber gegen einen echten Freund würde ich nicht kämpfen. Nicht, weil ich etwas dagegen hätte, meinem Freund ins Gesicht zu schlagen, denn das machen wir jeden Tag im Training. Es geht eher darum, dass in unserem Sport der Verlierer einen herben Schlag erleidet. Die Art, wie Kämpfer vermarktet werden, richtet sich nach ihren Siegen in Folge. Und somit wird einer von beiden abseits der Matte leiden und in seinem persönlichen Vorankommen zurückgeworfen. Wenn ich Leichtathlet wäre und gegen meinen Freund einen Hundertmeterlauf machen würde, dann wäre das anders. Denn der nächste Lauf ist vielleicht schon im nächsten Monat. Aber bei im Schnitt drei Kämpfen im Jahr, da möchte ich doch ungern meinem Freund so etwas antun.

Hast du die gemischten Kampfkünste schon mal außerhalb des Käfigs oder der Trainingshalle anwenden müssen?

Nein.

Was auffällig ist: MMA-Sportler sind auch in den Mainstream-Medien immer präsenter. Du hattest schon Auftritte in Reportagen („Herr Eppert sucht …“, Bericht auf 3sat) und Wissenschaftssendungen („Welt der Wunder“), hast der Men’s Health ein großes Interview gegeben. Auch Nick Hein, derzeit Deutschlands wohl bekanntester Kämpfer, ist ein gefragter Gesprächspartner. Wie bewertest du den „Erfolg“ solcher Aktionen?

Wenn man sich die Geschichte des Individualsports in den deutschen Nachkriegsmedien und in der Öffentlichkeit ansieht, dann kann man wohl mit Sicherheit sagen, dass jeder erfolgreiche Sport immer durch eine Galionsfigur berühmt wurde. Im Tennis war es Boris Becker, beim Formel-1 u.a. Michael Schumacher und beim Boxen Henry Maske. Die Menschen brauchen ein Gesicht zum Sport, jemand, mit dem sie sich identifizieren können und der sie dazu bringt, mitten in der Nacht aufzustehen (oder wach zu bleiben), um mit ihm zu fiebern. Insofern sind solche „Aktionen“ einer der logischen Schritte, um das Wachstum unseres Sports gewährleisten zu können. Zudem handelt es sich bei den MMA um eine Sportart, bei der man zweimal hinsehen muss, um sie verstehen zu können. Und um jemanden dazu zu bewegen, ein zweites Mal hinzusehen, braucht es einen Grund. Ein bekanntes und sympathisches Gesicht ist ein möglicher Grund für so etwas.

Würdest du mir zustimmen, wenn ich sage, dass MMA tatsächlich auch einen sozialpädagogischen Wert  hat – sowohl für die Zuschauer (als Ventil, um angestaute Aggressionen raus zu brüllen) als auch für manche Kämpfer (runter von der Straße, rein in den Käfig)?

Ich würde sagen, dass diese Aussage für jeden Sport gilt. Als Pädagoge weiß ich um das Potential von Sport für die positive Einflussnahme auf die Entwicklung nicht nur von Kindern und Jugendlichen. Natürlich braucht man dafür, wie auch sonst, immer einen guten Trainer. Und wenn du mal Leute sehen willst, die sich bei einem sportlichen Ereignis die Aggressionen vom Leib brüllen, dann empfehle ich die Bundesliga.

Würdest du einem Teenager, der Gefahr läuft, auf die schiefe Bahn zu geraten, diese Sportart guten Gewissens ans Herz legen?

Ich würde ihm in erster Linie ans Herz legen, eine Beschäftigung zu suchen, die ihn ausfüllt, ihm Spaß macht und seinem Leben einen Sinn und eine Richtung gibt. Wenn er all das im MMA-Sport findet, dann sehe ich keinen Grund, warum er ihn nicht ausüben sollte.

Bei MMA gefragt: Wille und hohe Frustrationstoleranz

Andreas Kraniotakes beim KampfWas brauche ich eigentlich grundsätzlich an körperlichen und geistigen Voraussetzungen, um mit MMA beginnen zu können?

Das Wichtigste ist wohl der Wille dazu, immer Neues zu lernen, und eine hohe Frustrationstoleranz. Insbesondere der Bodenkampf nötigt einem ein nicht zu überschätzendes Maß an Demut ab am Anfang. Es ist schon häufiger vorgekommen, dass ich gut trainierte Jungs gesehen habe, die das erste Mal ins Gym gekommen sind und dann weitaus kleineren, leichteren und jüngeren Sportlern im Training unterlegen waren. So etwas ist zunächst einmal ein ganz schöner Charaktertest. Wer den besteht, sein Ego von der Matte lassen kann und sich einer normalen Gesundheit erfreut, der sollte sich nicht scheuen, mal in diesen wundervollen Sport hineinzuschnuppern.

Sollte ich Vorkenntnisse in Sachen (Kick-)Boxen, Judo, Taekwondo oder Ringen haben?

Natürlich hilft es, wenn man bereits Erfahrungen in anderen Sportarten hat. Aber es ist absolut keine zwingende Voraussetzung.

Du selbst trainierst im Kampfsportgym in Koblenz. Als Mekka der MMA-Szene bundesweit gelten Köln mit dem Combat Club Cologne und Frankfurt mit MMA Spirit. Sind das so die Studios, auf die die Szene besonders schaut?

Ich bin schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Koblenz und trainiere täglich im Combat Club Cologne sowie, wann immer ich es einrichten kann, in Balingen bei den Planet Eatern. Zusammen mit dem MMA Spirit sind diese drei sicherlich die renommiertesten MMA-Teams des Landes.

Gehst du eigentlich auch mal ganz klassisch in ein Fitnessstudio und machst Bankdrücken oder Kniebeugen?

Andreas Kraniotakes im StudioIch mache Kraftsport. Abhängig von der Phase, in der sich meine Vorbereitung gerade befindet, wechselt der Schwerpunkt dabei. Je näher ich dem Wettkampf komme, desto eher arbeite ich an Schnellkraft und Kraftausdauer. Wenn ich nicht in der direkten Vorbereitung stehe, dann mache ich auch mal klassisches Kraft- oder Hypertrophie-Training.

Die weiblichen Speerspitzen der deutschen MMA-Szene bilden derzeit Katharina Lehner, Alexandra Buch und Dr. Anne Merkt. Wie beurteilst du die Entwicklung der Frauen allgemein in diesem noch jungen Sport?

Sie wurden zunächst eher mit gemischten Gefühlen betrachtet. Das galt auch für die männlichen Athleten aus den eigenen Reihen. Aber sie haben sich emanzipiert und jedem bewiesen, dass sie technisch anspruchsvolle und spannende Kämpfe liefern können. Für mich sind sie gleichwertige Athletinnen und eine Bereicherung für den Sport.

„Nennt mich den Nostradamus der Kinderlektüre“

Abschließend möchte ich noch gerne auf dein Kinderbuch zu sprechen kommen, das vor einem Jahr erschienen ist: Es trägt den Titel „Der schwarze Ritter“ (und wird von den Kunden auf amazon.de mit Lob nur so überhäuft). Was hat dich motiviert, das zu schreiben?

Ich hatte schon immer das Bedürfnis, ein Kinderbuch zu schreiben. Es ist ein wundervoller Weg, um Geschichten zu erzählen – und ich liebe Geschichten. Die Geschichte ist vor vier Jahren entstanden, als noch niemand sich für die Flüchtlingssituation interessiert hat. Der Protagonist – ein kleiner afrikanischer Junge – ist gezwungen, seine gewohnte Umgebung zu verlassen und kommt mit dem Boot nach Europa, um dort seinen Träumen zu folgen. Bitte nennt mich den „Nostradamus der Kinderlektüre“. 

Was ich großartig finde: Jeder Cent, den du damit verdienst, geht an die Hilfsaktion „Leuchtende Kinderaugen“

Ja, ich arbeite bereits länger mit der Organisation aus Aschaffenburg um Timo Bieber zusammen. Aber ich fühlte mich immer nur halb gut, wenn ich etwas für den Verein gemacht hatte. Egal, ob man nun eine Sach- oder Geldspende leistet, ob ich eine ihrer Veranstaltungen besucht oder sie moderiert oder ob ich bei der Wunschtraumerfüllung eines kranken Kindes mitgewirkt habe. Ich hatte das Gefühl, dass meine Hilfe nichts Bleibendes ist und zu schnell wieder verpufft. Deshalb wollte ich etwas schaffen, das bleibt. Somit kam die Entscheidung, den gesamten Erlös zu spenden, solange das Buch auf dem Markt ist.

Dann bedanke ich mich sehr für die interessanten Einblicke in die Welt der MMA und wünsche dir viel Erfolg bei allem, was du in nächster Zeit so anpackst!

Vielen Dank, dass ihr mich zu Wort habt kommen lassen und ebenfalls viel Erfolg mit eurer Seite.

 Mehr Infos zu Andreas Kraniotakes findest du auf seiner Website. Auf studiocheck247.com kannst du natürlich auch nach Studios mit MMA-Angebot in deiner Stadt suchen. 

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